Wann und wie Startups international expandieren sollten
Neue Märkte zu erschließen und zu erobern ist für Startups sehr wichtig, kann aber auch gewaltig schief gehen. Gernot Schwendtner, CEO und Gründer von weGrow International und Experte für Internationalisierung, erklärt, wie die internationale Expansion zu einem Erfolg wird.
Wann wird die internationale Expansion zum Thema für Startups?
Timing ist hier essenziell. In der Regel wird dieses Thema relevant, sobald ein Startup den Product-Market-Fit erreicht hat und in seinem Heimatland an Zugkraft gewonnen hat. Davor macht eine Expansion keinen Sinn, es sei denn, die Nähe zu einem wichtigen Kunden ist zwingend erforderlich. Der Zeitpunkt hängt auch davon ab, in welchem Land in Europa man startet. Viele Startups denken jedoch zu spät an Internationalisierung, vor allem in Deutschland, und nur 0,4 % der Startups skalieren international erfolgreich. Da sind die Niederländer oft deutlich schneller, auch wegen des kleineren Heimatmarkts. Für Investoren ist internationales Wachstum von Anfang an ein entscheidender Faktor, da sie auf Unternehmen mit europäischem oder gar globalem Potenzial setzen wollen.
Wie expandieren Startups in ein neues Land?
Sie denken oft der Reihe nach darüber nach. Unternehmen entscheiden sich zum Beispiel für Deutschland, Belgien, Frankreich oder die USA. Dann stellen sie eine Person ein, die das Expansionsprojekt vorantreibt. Nach einer gewissen Zeit denken sie über das nächste Land nach, in das sie gehen sollen.
Ist an diesem Ansatz etwas falsch?
Das kommt darauf an. Zuerst sollte eine gründliche Analyse verschiedener Märkte erfolgen, die viele verschiedene Faktoren berücksichtigt, nicht nur die Marktgröße. Der falsche Zielmarkt kann ein herber Rückschlag im Wachstum sein. Wir schlagen daher vor, Expansionsrisiken zu minimieren, indem wir mehrere Auslandsmärkte gleichzeitig testen, um das Potenzial dieser Märkte schnell zu validieren. Dafür haben wir unser Framework sogenannter „Minimum Viable Markets“ entwickelt. Die Denkweise sollte sein, sagen wir, drei verschiedenen Märkten einen ersten Versuch zu geben, und wenn ein oder zwei überleben, ist das in Ordnung. Es ist ein kostspieliger Fehler, in einem Land eine Organisation aufzubauen, nur um festzustellen, dass man dort nicht gegen die lokale Konkurrenz gewinnen kann.
Sollte das Unternehmen in einer solchen Situation diesen Markt aufgeben, was wahrscheinlich eine schwierige Entscheidung ist, oder noch mehr investieren, um ihn zu knacken?
Das ist ein klassischer “Sunk-Cost-Irrtum”. Man investiert weiter Ressourcen, nur weil man vorher schon viel Geld investiert hat. Im schlimmsten Fall machen sie immer weiter und brennen schließlich aus, weil sie den Fokus auf die Märkte verlieren, die für sie eigentlich wichtig sind. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Bei einem Scaleup, wo ich gearbeitet habe, haben wir gleichzeitig in 12 neue Märkte expandiert und mussten letztendlich sechs davon wieder schließen, weil wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht hatten. Die Lehre lautete: Früher aufgeben bedeutet, in umkämpften Märkten nicht zu viel Geld zu verlieren. Um dies zu vermeiden, sollte vor der Expansion eine Stop-Loss-Strategie mit klaren Zielen zu definiert werden, z.B. wir wollen innerhalb von sechs Monaten die ersten fünf Kunden haben.
Zoom-Anrufe haben Handshakes ersetzt. Wie wichtig ist es immer noch, Menschen vor Ort zu haben, anstatt zu versuchen, aus der Ferne von Ihrem Heimatland aus auf einen Markt zuzugreifen?
Ich denke, es ist immer noch sehr relevant, Menschen vor Ort zu haben, die einen Markt und seine Gepflogenheiten kennen und über ein lokales Netzwerk verfügen. Dieser Informationsvorsprung beschleunigt den Prozess enorm. Ich war Country Manager für Österreich und die Schweiz für ein niederländisches Unternehmen und konnte Leute in die Organisation bringen, die ich kannte und denen ich vertraute. Ich war mir sicher, dass wir auf diese Weise viel schnell vorankommen. Ein SaaS-Startup, das wir kürzlich beraten haben, hat seinen Sitz in Utrecht und stellte Leute aus Paris und Berlin ein, aber die Ergebnisse waren noch nicht zufriedenstellend. Das Problem war, dass es sich bei diesen Neueinstellungen um ziemlich junge Leute handelte, die natürlich kein großes Netzwerk haben. Also haben wir ihnen mit Verbindungen aus unserem eigenen Netzwerk geholfen. Besonders in Paris baut das Geschäft sehr stark auf Beziehungen auf und der richtige lokale Experte vor Ort wirkt Wunder.
Es scheint naheliegend, in Länder zu expandieren, die geografisch nahe am Heimatmarkt liegen. Was ist mit weiter entfernten Märkten?
In bestimmten Fällen kann dies sinnvoll sein. Ich kenne eine Babysitter-Plattform mit Sitz in den Niederlanden, Amsterdam, die sich bewusst gegen die üblichen Verdächtigen entschieden hat und es geschafft hat, ihr Geschäft in Kolumbien, Mexiko, Peru und Kanada mit starken lokalen Partnern auszubauen, weil es dort keine große Konkurrenz gab. Es gibt jedoch einen Grund, warum viele Startups in die großen drei europäischen Märkte gehen wollen: Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Wenn sie es dort schaffen, ist das ein wichtiges Signal für Investoren und Kunden auch in anderen Ländern. Letztlich stehen irgendwann die USA und auch Asien auf dem Programm.
Wie wäre es, kleinere Wettbewerber in anderen Ländern zu übernehmen, um zu expandieren?
Es ist eine Option, aber die Post-Merger-Integration braucht Zeit und ist für schnell wachsende Startups schwierig. Ich würde es nicht als Hauptmethode für Expansionen empfehlen, aber es gibt einige Fälle, in denen es ein gültiger Ansatz ist und Time-to-Marketshare deutlich reduzieren kann. Oft bringt eine lokale Übernahme auch den Vorteil, ein bestehendes Team, ein Kundennetzwerk und vor allem lokales Vertrauen auf einen Schlag an Bord zu bringen.
Wenn man über den Eintritt in einen ausländischen Markt nachdenkt, muss man viele harte Fakten berücksichtigen, z. B. Arbeitsgesetze und andere Vorschriften. Wie wichtig sind weiche Faktoren wie interkulturelle Kompetenz?
Interkulturelle Kompetenz ist für mich eine der wichtigsten Fähigkeiten im 21. Jahrhundert, genauso wichtig wie Englisch zu sprechen. Es ist faszinierend, wie viele Missverständnisse es aufgrund kultureller Unterschiede gibt, die sich beispielsweise in niedrigeren Konversionsraten und Umsätzen niederschlagen, weil das Marketing für ein bestimmtes Land nicht richtig aufgestellt ist.
Wie lernt man diese Fähigkeit?
Für die jüngere Generation, die mit Erasmus-Programmen aufgewachsen ist, Auslandssemester und Praktika absolviert hat, ist es viel einfacher. Ein wichtiger erster Schritt ist es, sich kultureller Unterschiede bewusst zu werden und diese anzusprechen. Mein Geschäftspartner ist Franzose und ich komme aus Österreich, und oft, wenn es ein Missverständnis gab, stellten wir fest, dass der Grund kultureller Natur war. Dieses Verständnis ermöglicht es uns, darüber zu lachen und darüber hinwegzukommen. Ich empfehle auch die Lektüre des Buches „The Culture Map“, das eine spannende Lektüre zu Themen wie der Frage ist, wer in der Hierarchie in einem Meeting anwesend sein muss, wie man Feedback gibt und was ein „Nein“ in verschiedenen Kulturen eigentlich bedeutet. Ein Großteil des kulturellen Codes wird von dem Land geprägt, in dem man aufgewachsen ist, aber er kann sich im Laufe der Zeit ändern. Ich lebe jetzt seit 7 Jahren in den Niederlanden und die Kommunikation ist sehr direkt. In Meetings kommt man direkt zur Sache. Das habe ich gemerkt, als ich vor ein paar Monaten in Wien war und mir gesagt wurde: „Das war das schnellste Meeting, das ich je hatte.“ Mit der Fachhochschule Utrecht haben wir einen Business-Studiengang namens „International Expansion“ konzipiert. Die Studierenden haben viel Spaß und es wäre toll, wenn auch andere Universitäten anfangen würden, solche Fähigkeiten zu vermitteln.
Bei den vielen Mentalitätsunterschieden in den europäischen Ländern gibt es sicher viel zu lernen…
Exakt. Es ist eine Todsünde, dass viele in den USA ansässige Unternehmen Europa als einen einzigen Markt zu sehen, und glauben, sie könnten expandieren, indem sie einfach eine Person in London platzieren. Aber es ist auch ein erhebliches regionales Handicap für Unternehmen in Europa, dass sie, wenn sie es nicht schaffen, sich zu internationalisieren, nur in einem kleinen Heimatmarkt hängen bleiben. Es kann jedoch auch von Vorteil sein, wenn man früh mit der Internationalisierung beginnen muss und viel Erfahrung damit hat. Das ist ein wichtiges Asset, um ein Global Player zu werden.
Welche Fehler siehst du oft bei Unternehmen bei ihrer Expansion nach Deutschland und in die Niederlande?
Was leider sehr oft passiert: Produkt und Value Proposition werden nicht an den Zielmarkt angepasst. Das kann fatal sein – ohne sogenannten “Local Product-Market-Fit” zahlt man viel zu viel, um den Markt zu erobern, oder versagt gänzlich. Außerdem werden Prozesse im HQ oft nicht auf die Expansion angepasst und die Mitarbeiter denken dann nicht oder zu wenig an die neuen Zielmärkte. Und es kommt immer wieder vor, dass das Thema Recruitment und Hiring von lokalen Leuten total unterschätzt und zu spät gestartet wird. Deswegen verlieren Unternehmen oft sechs bis zwölf wichtige Monate.
Welche Tipps hast du für niederländische und deutsche Unternehmen, die expandieren wollen?
Erstens: Nicht zu lange warten. Das Timing ist wirklich wichtig. Zweitens: Ohne genügend Ressourcen – sei es Kapital, Mitarbeiter oder persönliche Energie – macht dieser Schritt keinen Sinn. Drittens: Gut planen! Oft sehen wir, das wichtige Schritte im Research und der Validierung einfach übersprungen werden. Das rächt sich relativ rasch und führt zu massiver Kapitalverschwendung. Viertens: Das ist CEO- oder zumindest C-Level Thema. Es braucht Zeit, Investment und persönliches Involvement. Fünftens: Be local! Sei Deutsch, sei Niederländisch in deiner Ansprache und Kommunikation – je nach Zielmarkt. Im Endeffekt kaufen Menschen von anderen Menschen, Vertrauen spielt dabei eine wichtige Rolle. Wie dieses Vertrauen pro Markt aufgebaut wird, ist allerdings ziemlich unterschiedlich. Und sechstens: Umgebe dich mit Experten, die den lokalen Markt und die Dynamiken wirklich gut verstehen. Es zahlt sich aus!
Source: https://dnhk.blog/de/wann-und-wie-startups-international-expandieren-sollten/
Comments